Blumen waren immer wieder Thema in unseren Ausstellungen: bei Annelies Štrba, Christine Knuchel oder Andrea Muheim. Und mit ihnen der Lebenskreis, Wachstum, Blüte und Vergänglichkeit – und natürlich auch die künstlerischen Traditionen des Stilllebens. Auch unseren Stiftungsgründer Albert Rüegg haben Blumen und ihre Symbolik als kurzlebige Lebensbegleiterinnen immer wieder beschäftigt.
Es ist ein erster Frühlingstag wie gemalt, als wir Maurice Ducret besuchen: Das Licht bezaubernd, die Temperaturen warm, erste Knospen suchen den Weg an die frische Luft. Und als wir schliesslich einen ersten Blick in Ducrets Atelier werfen, gehen Augen und Sinn auf. Hier passt alles zusammen, die Arbeit ist eingebunden in Wohnen und Leben – Natur, Architektur und Kunst verbinden sich zu einer wunderbaren Harmonie. Das klingt nun alles fast ein wenig kitschig. Und wer Blumen malt, setzt sich ja eh einem gewissen Kitschverdacht aus. Aber Maurice Ducret ist natürlich erfahren und klug genug, um in genau jene Falle nicht zu tappen. Das wird rasch klar, wenn man seine Bilder ein bisschen genauer anschaut.
Bevor er zum Maler wird, ist Ducret Gärtner. Viele Blumen und Pflanzen, die auf seinen Bildern auftauchen, stammen aus dem eigenen Garten. Gemeinsam mit seiner Partnerin hat er sie angepflanzt, gepflegt, geschnitten. Und arrangiert sie nun zu losen Sträussen, die eine ausgeprägte Selbstverständlichkeit auszeichnet. Sie wirken vollkommen intuitiv zusammengestellt, rasch gebündelt, in schnellen Entscheidungen aus dem Bauch heraus positioniert. So sehr der Künstler im Arrangieren seiner Bildgegenstände bei sich selbst ist und so gefühlsbetont diese primären Entscheidungen fallen, so sehr wird das Resultat dann schliesslich doch von einem überaus sehenden, wissenden Auge geprüft. Und unerbittlichen Fragen unterworfen: Ist diese Komposition, in ihrer Selbstverständlichkeit, interessant genug? Das heisst: Eröffnet sie für die Betrachtenden eine Reihe von Fragen, die sich nicht mir nichts Dir nichts auflösen, sondern in eine Komplexität münden, in der Ausschnitt, Räumlichkeit, Licht, Farben entscheidende Parameter abgeben? Diese Parameter eröffnen Myriaden von Verhältnissen, Beziehungen, Kräften, die sich schliesslich in einem schillernden, vibrierenden, schwebenden Gleichgewicht auflösen.
Das heisst: Hinter diesem ersten Eindruck von Harmonie verbergen sich Tausend Disharmonien. Sie sind dermassen raffiniert miteinander in Beziehung gesetzt, dass am Ende alles ganz selbstverständlich wirkt. Als müsse es eben gerade so und nicht anders sein. Das ist es aber nur, weil das welke Blütenblatt als Farbfleck eben genau am richtigen Ort liegt. Oder weil sich unmittelbar neben die Vase ein Rest eines Stängels gesellt, den jeder ordentliche Blumenmaler mit Sicherheit von dort entfernt hätte. Wie zufällig liegt er da. Und genau dieser Stängel ist es dann, der dem Bild Spannung verleiht. Dieser “Fehler”, diese vermeintliche Unaufgeräumtheit. Oder die paar Blüten, die sich bereits von ihren Trägern verabschiedet haben. Ordentlicherweise gehörten sie weggewischt. Aber hier sind sie da.
So ist es dieses permanente Hin und Her zwischen Kopf und Gefühl, zwischen Harmonie und Disharmonie, zwischen unbewusster Momentvergessenheit und akribischer Analyse, die diese Kunst ausmacht. Ihren Ursprung hat sie wie gesagt im Garten oder am Bauernmarkt. Und was dann so selbstverständlich aussieht, ist die Folge eines mehrstufigen Prozesses. Der Auswahl der Blumen und Pflanzen folgt das Arrangieren. Dann wird das Arrangement fotografiert, die Fotografie bearbeitet, der Ausschnitt bestimmt, das Bild vielleicht um 90 Grad gedreht… Der Hintergrund in Öl oder neu auch als Kreidegrund gemalt. Und auf diesen Hintergrund werden schliesslich die digitalen Daten in mehreren Durchgängen geprintet, gedruckt.
Die Vasen entstehen in einem verwandten Prozess. Zunächst bearbeitet der Künstler ein Gefäss – oft ist es eine einfache alte Guetsli-Dose. Oder er modelliert eine einfache Form. Dann wird dieses Gefäss eingescannt (wobei es oft zerstört werden muss). Die Daten in einem 3D-Programm bearbeitet. Und schliesslich mit einem 3D-Drucker ausgeplottet. Danach geschliffen, poliert… Und was mal Dose oder Tonform war, ist nun eine – gebrauchsfähige – Vase in einem Kunststoff aus kompostierbarer Milchsäure.
Bei den Formen und Farben der Vasen verhält es sich ähnlich wie bei Ducrets Blumenbilder: Intuition und Intellekt geben sich die Hand. Die Resultate sind zugleich ungemein zeitgemäss und doch voller Anklänge an die jahrtausendealte Geschichte von Gefässen.
Das Movens zwischen Kopf und Geist ist das Spiel. Das Ausprobieren, blitzschnelle Entscheiden, Verwerfen und Weiterbauen, Umdrehen und auf den Kopf Stellen, ins Licht Rücken und Beschneiden, Farbgeben und in Schwarzweiss-Tauchen. Zu diesem Spiel passt, dass sich immer wieder Abfallmaterialien in Ducrets Bildern zeigen, Verpackungsmaterial von Flaschen und Früchten Sträusse zusammenhalten, Kunststoffreste sich aufschichten, Plexiglasscheiben Räume trennen und neu erfinden. Am Bildschirm lassen sich diese analog geschaffenen Gebilde dann neuerlich verfremden, verunklären, klären… Bis das Ganze in diesem zauberhaften Gleichgewicht schwebt, in dem alle Entscheidungen im Flüsterton miteinander sprechen. Die Kunst ist mit Sicherheit ganz wesentlich ein Grund, weshalb dieser über Siebzigjährige so unglaublich lebendig, reaktionsschnell, flexibel, ja schlicht jung wirkt. Beneidenswert. Aber auch hier steckt hinter der vermeintlichen Leichtigkeit jahrzehntelange Arbeit und eine fundierte Ausbildung, unter anderem in Holland an der berühmten Jan van Eyck Academie.
Von der Arbeitslust dieses Künstlers mitgerissen, haben wir nun fast völlig versäumt, über die eingangs erwähnten Themen der Vergänglichkeit und der Schönheit zu sprechen. Vielleicht klangen sie immer ein klein wenig mit, diese Themen. Sie sind ja eng miteinander verknüpft – Schönheit vergeht. Und im Vergehen entsteht neue Schönheit, vielleicht eher eine vergeistigte als eine physische, sinnliche. Es ist ein wenig, als ob Maurice Ducret diese schweren Lebensthemen hinter seiner überaus ästhetischen, anmutigen Kunst tarnt und verbirgt. Aber natürlich sind sie (auch) da. Ihr Tiefgang schwingt mit. Natürlich sind Blumen in der Kunst immer auch Todesblumen, in der Vanitas-Tradition der Stillleben-Malerei. Bei Ducret sind diese Dimensionen des Wachsens, der Hochblüte und des Vergehens auf eine so natürliche Art und Weise miteinander verwoben, dass es schwerfällt, die Vergänglichkeitsthematik isoliert herauszuarbeiten. Wahrscheinlich wäre das auch nicht in seinem Sinn. Für ihn gehört alles zusammen: Leben und Sterben, das grösste Glück eines Moments und das langsame Vergehen. Sie sind letztlich eins – und werden in seiner Kunst vereint. Vielleicht ist das im Grunde das Erstaunlichste an dieser Arbeit: diese Leichtfüssigkeit, mit der schwere Themen angegangen verhandelt werden. Und die Verbindung zwischen Drama und Glück, die Maurice Ducret in einer fast asiatischen Tradition miteinander in eins setzt.
Albert Rüegg hat seinen Gefühlen noch mehr Freiheit gegeben als Maurice Ducret. Anders gesagt: Er hat den kontrollierenden, prüfenden Kopf häufig ganz ausgeschaltet – und nur noch mit dem Bauch gemalt. Seine Blumenstillleben sind fast immer von einem Hauch von Melancholie gezeichnet. Diese Melancholie ist abgründiger als bei Ducret, tendenziell bodenlos, wo Ducret sich einzig eine gewissermassen intellektuelle Melancholie leistet, gezüchtet hat. Albert malt Blumen in fettem Öl, als wäre er ein Bildhauer, der im Dreidimensionalen arbeitet. Seine Blumen tragen schwer an ihrer Melancholie. Manchmal, für jene seltenen Momente des Glücks, dürfen sie ein Wohnzimmer mal nur schmücken. Als Sinnbilder für eine zeitvergessene Zeit, die leider meist nur Augenblicke währt. Wird man ihr gewahr, ist sie längst schon vorbei, Vergangenheit. Das Glück ist dort, wo wir nicht sind. Und sind wir da, sehen wir es nicht. Vielleicht ist es aber genau das, was den Zauber unseres Daseins ausmacht. Nicht alles ist uns bewusst, nicht alles können wir kontrollieren. Glück ist ein unberechenbares Gut. Zum Glück.
Simon Maurer, Stiftungsrat
April 2025